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Eine kurze Geschichte des Müßiggangs

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Eine kurze Geschichte des Müßiggangs

Wir hetzen von einem Termin zum anderen, sind ständig erreichbar, beantworten hunderte von Mails, müssen dann noch schnell zum Sport, Einkaufen, selbst kochen, selbstverständlich noch ein gutes Buch lesen und im Urlaub sind wir entweder grenzenlos aktiv, erklimmen Felswände oder umsegeln einen Kontinent oder wir zeigen allen daheim gebliebenen wie unglaublich gebildet wir sind, indem wir eine unablässige Folge von Bildern von Schlössern, Kirchen, Tempeln auf Facebook posten.

Wir sehen, hören, erleben so viel wie noch nie, im Sekundentakt reihen sich die Eindrücke, Geschichten, Bilder aneinander. Doch hören wir uns selbst auch noch? Wo sind wir in diesem Getöse?

Das Nichtstun wird auch Müßiggang genannt und ist so gar nicht das, was es auf den ersten Blick scheint. Denn Müßiggang „ist das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten.“ (Wikipedia)

Müßiggang ist aller Laster Anfang

Früher war der Müßiggang ein Privileg des Adels. Doch auch er war indes nicht untätig sondern organisierte Kunst, Kultur und Sozialwesen. Schluss mit dieser Aufteilung machte bei uns Martin Luther, der die Klassengesellschaft festschrieb. Jeder solle an seinem Platz seine Christenpflicht leisten und bis zum Umfallen arbeiten. Auf Erden war nun „Müßiggang aller Laster Anfang“ und das süße Nichtstun gab es erst im Jenseits.

Nach fast 300 Jahren hatte sich diese „Protestantische Ethik“ flächendeckend durchgesetzt und spätestens in der Industriegesellschaft galt derjenige etwas, der tüchtig und fleissig war. Der Müßiggänger, der Tunichtgut, der Gammler galt als faul, leistungsunwillig und lebte in den Augen der anderen auf Kosten der Gemeinschaft. Die Leistungsgesellschaft war entstanden.

In dieser Leistungsgesellschaft war kein Platz mehr für Müßiggang, der ja nicht bedeutete, schlicht nichts zu tun, sondern nachzudenken, sich mit sich selbst zu beschäftigen, Neues zu entdecken, kreativ zu sein, sozusagen Geistesübungen abzuhalten. Doch ist dies nicht so einfach zu messen, wie der Output eines Fabrikarbeiters. Also behalf man sich damit, dass diese Kopfarbeiter gefälligst im Büro anwesend sein müssten. Wer da war, arbeitete. Die gleiche geistige Leistung von zu Haus oder einem ganz anderen Ort zu erbringen, erweckte lediglich das Misstrauen der Vorgesetzten. Im Weltbild einer betrieblichen Kontrollkultur erntet derjenige Lob und Aufstieg, der anwesend ist und möglichst angestrengt und gestresst wirkt, denn das sind Indizien für harte Arbeit.

Es war klar, dass dies einen lächerlichen Aktionismus in den Unternehmen erzeugen würde, der ebenso unsinnig wie ineffektiv ist. Heute gilt jemand als wichtig, wenn er ständig erreichbar ist und auch bei jedem Klingeln an sein Telefon geht, egal in welcher Situation er sich gerade befindet. Emails müssen ständig abgerufen werden und man entschuldig sich schon, wenn man eine Mail erst nach zwei Tagen beantwortet.

Stress wird in Freizeit fortgesetzt

In einem weiteren Schritt hat unsere Freizeitindustrie uns erfolgreich verkauft, dass wir nun auch keinen Fall in der Zeit, in der wir nicht arbeiten, untätig sein dürfen. Wer schon nicht für einen Triathlon trainiert, muss wenigstens Yoga machen. Kochen wird zelebriert, muss aufwändig sein, ganz zu schweigen von der Zeit, in der man die Zutaten natürlich immer auf Wochenmärkten einkauft. Über’s Wochenende schnell mal nach Paris oder New York, Musikfestivals, Theaterbesuche – ein nicht abreissender Strom von „Must-Dos“ treibt uns weiter. Einfach nur einmal da sitzen, den Moment genießen, mit sich ganz allein nachdenken? Was?!

„Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“ – Friedrich Nietzsche

Mancher hat vielleicht Angst davor, was er finden wird, wenn er wirklich in Stille mit sich allein ist. Geht dann doch lieber wieder zum gemeinsamen Meditieren oder kollektiven Massen-Yoga im Park.

Und dann sind da noch die kleinen, mobilen Freunde. Sie sind immer da und bewahren uns vor der Stille mit uns selbst. An der Bushaltestelle warten? Langweilig. Smartphone aus der Tasche und sich in eine der ständig aktuellen Timelines auf Facebook, Twitter oder Instagram stürzen. Nur ganz kurz schauen, was die Freunde so treiben. Und schon bekommt unser Gehirn wieder einen kleinen Impuls, eine Ablenkung, ein Häppchen Entertainment. Keiner von uns muss sich mit dem kalten Entzug, den fehlende Ablenkung haben kann, auseinandersetzen.

Ist nun alles schlecht und müssen wir nun nur noch in kontemplativer Verzückung vor uns hin sitzen, nachdem wir alle Gadgets aus dem Fenster geschmissen und unsere Jobs gekündigt haben? Natürlich nicht. Es ist wie immer im Leben. Alles zu seiner Zeit und in Maßen. Und dazu gehört eben auch der Müßiggang, die Ruhe und Einkehr, die Stille und kreative Auseinandersetzung mit uns selbst. Lasst uns das Nichtstun wieder lernen. Es ist eine Kunst.

Dies wussten insbesondere die Künstler und Gelehrten. Friedrich Nietzsche fuhr in den Engadin, um Also sprach Zarathustra zu schreiben. Richard Wagner ließ sich von den Gärten der Villa in Ravello zum Bühnenbild des zweiten Aktes seiner Oper Parsifal anregen. Und die ostitalienische Stadt Ravenna inspirierte schon Dante Alighieri, Lord George Gordon Byron oder Gustav Klimt. (gefunden bei Karrierebibel)

Man muss nicht gleich verreisen, um zur Ruhe zu kommen und seine Kreativität zu entwickeln. Ein Spaziergang reicht laut einer Studie von Marily Oppezzo und Daniel L. Schwartz von der Stanford Universität bereits aus, um bessere Ideen zu bekommen und Erfindungsgeist sowie Assoziationen zu wecken.

Hat Müßiggang in Eurem Leben einen festen Platz? Könnt Ihr noch Nichts tun? Wie macht Ihr es, solche Momente im Alltag herzustellen? Erzählt uns von Euren DIGNIFIED Momenten und schreibt Eure Erlebnisse auf.