Durch den Beitrag von José Picardo wurde ich wieder auf das Bild der Jugendlichen vor der Nachtwache von Rembrandt aufmerksam, das vor einigen Monaten auch durch meine Timelines zog. Es wurde als tragisches Beispiel für all die jungen „Smombies“ angesehen und heftig kommentiert. Zu sehen sind ca. ein Dutzend junge Menschen, die – obwohl im Rijksmuseum und dann auch noch vor einem der Meisterwerke von Rembrandt – nichts anderes zu tun haben, als in ihre Smartphones zu schauen, keinen Sinn für die Erhabenheit der Kunst oder Respekt vor der Umgebung haben.
So plakativ diese Beschreibung ist, so falsch ist sie auch und dieses Bild ist eben keine Metapher für unser durch digitale Technologien verdorbenes Zeitalter. Das Abendland geht schon wieder nicht unter.
Denn die Schüler waren vertieft in die für Smartphones herunter ladbare, kostenfreie Museums-App, die ihnen die Kunstwerke erklärt und weitere Infos liefert. Doch auch angesichts dieser Erklärung gab es noch Kritik, denn eine Museums-App solle ja nicht die vollständige Aufmerksamkeit der Nutzer auf sich ziehen, sondern diese immer wieder auf die Kunstwerke lenken. Nun ja, es ist ein Foto. Was eine Minute oder Sekunden vor- oder hinter her passierte, wissen wir nicht. Diese Kritik ist schon etwas weit her geholt.
Smartphones machen unsozial
Warum schreibe ich das alles? Es geht mir nicht darum, dass Bilder nicht immer die Wahrheit zeigen (=No Brainer). Was mich stört ist, dass es mittlerweile reflexhaft bei solchen Bildern zu technophoben Ausbrüchen kommt, die schlimmstenfalls in „früher war alles besser“ enden. Hierbei wird oft als ein Beispiel angebracht, dass alle Reisenden in der U-Bahn nur noch auf ihre Geräte starren würden und sich ja niemand mehr unterhält.
Moment! Ich bin in der Prä-Smartphone-Ära groß geworden und damals schon U-Bahn gefahren. Auch ohne Smartphone habe ich mich nicht mit mir unbekannten Mitreisenden unterhalten. Warum sollte ich auch? Ich kannte die Leute ja nicht. Ich weiß nicht, was für Erlebnisse andere haben, aber ich konnte nicht häufig (also fast nie) beobachten, dass sich plötzlich wildfremde Personen angeregt miteinander unterhielten, nur weil sie in der gleichen Bahn saßen. Und heute ist es genau so wie damals. Nur langweilen wir uns nicht mehr so, weil wir – Obacht! – Smartphones haben. Das Bahnfahren ist durchaus angenehmer, weil kurzweiliger geworden.
Früher war alles besser anders
Die Vereinfachung, analog wäre gut, digital schlecht, begegnet einem an vielen Orten. Da ist das Papier-Bücherlesen gut, ein Buch auf dem Smartphone zu lesen aber schlecht. Es ist gut, im Café zu sitzen und Löcher in die Luft zu gucken*, aber schlecht, am Smartphone mit geliebten Menschen auf WhatsApp zu schreiben. Es ist furchtbar, wenn in trauter Zweisamkeit beide in ihre Smartphones schauen, wenn beide aber lesen ist es gut.
Auch mein Partner und ich wurden schon von fremden Menschen angesprochen, ob wir uns denn nichts mehr zu sagen hätten, weil wir beide unsere Smartphones vor der Nase hatten. Hallo? Woher wollen die Leute eigentlich wissen, dass wir nicht gerade stundenlang miteinander gesprochen haben? Reden diese Leute ständig, 24 Stunden am Tag, mit ihrem Partner? Ich würde wahnsinnig werden und zum Glück herrscht bei uns da Einigkeit.
Und hier schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Bild er Jugendlichen im Museum. Es ist nicht immer so wie es scheint. Und viele Menschen tun tolle Dinge an ihren Smartphones wie lesen, mit geliebten Menschen „sprechen“ oder auch ihren nächsten Urlaub planen. Nicht jede(r), die/der in sein Smartphone schaut, ist ein Smombie und muss auf den rechten, analogen Weg zurück gebracht werden.
Ja, auch ich finde es unhöflich, wenn mein Gesprächsteilnehmer mitten im Gespräch sein Smartphone zückt. Auch ich halte es für gefährlich, als Fußgänger im Straßenverkehr zu lang auf sein Smartphone zu schauen, auch wenn ich es selbst auch tue. Und selbstverständlich halte ich nichts davon, Kindern ein Gadget in die Hand zu drücken, damit man Ruhe vor ihnen hat. Es gibt Vieles, was ich als negativ an der Entwicklung finde.
Und dennoch: Das alles sind Fehlverhalten von Menschen, die man darauf ansprechen kann (und sollte). Das Smartphone ist daran nicht Schuld. Und wer solche Freunde, wie in diesem Video hat, hat kein Problem mit dem Smartphone sondern mit der Auswahl seiner Freunde.
Veränderungen voraus!
Natürlich haben viele Menschen Angst vor dem, was uns die Digitalisierung bringt. Doch diese leidige Maschinenstürmerei führt uns nicht zu den Diskussionen, die wir wirklich führen müssen. Unsere Gesellschaft steht vor derart bahnbrechenden Veränderungen, dass einem da schon mal Angst werden kann. Das ist nur verständlich. Doch zurück geht es nun einmal nicht – ging es nie. Und anstatt dieses unnötigen Gezeters wünsche ich mir, dass wir anfangen, besonnen und mit gegenseitigem Respekt darüber zu sprechen und zu streiten, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen. Ja, es ist kompliziert und es gibt keine einfachen Antworten. Aber mit Meckern und Verweigerungshaltungen kommen wir auch nicht weiter.
Ich werde weiter versuchen, die Menschen von den unglaublichen Chancen der Digitalisierung zu überzeugen, ohne in Jubelarien auszubrechen. Auch hier ist – wie immer im Leben – nicht alles Gold was glänzt.
Denn natürlich bin ich mir durchaus über die negativen Auswirkungen eines zu intensiven digitalen Konsums im Klaren. Genau aus diesem Grund engagiere ich mich als Partnerin bei The Dignified Self. Hier wollen wir unseren Beitrag zu einer ausgewogenen Diskussion leisten. Das Thema Achtsamkeit ist hier nur eines von vielen.
Und ich bereite gerade einen rund 60-minütigen Vortrag zum Thema „Böse Smartphones“ (Arbeitstitel) vor. Bei Interesse, mich einfach ansprechen: heike∂thedignifiedself.com. Oder auf meinem Speaker-Profil schauen, worüber ich noch so spreche.
*Ich bin absolute Befürworterin des Müßiggangs. Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde.
Dieser Artikel erschien zuerst auf mobile zeitgeist.